Beschluss der BAG Frauenpolitik vom 4. September 2010 in Ludwigshafen
Gerichtliche Einzelfallprüfung im Sorgerecht ermöglichen
Bereits 2008 hat die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen die Möglichkeit der Erlangung des Sorgerechts für nicht mit der Mutter verheiratete Väter, auch gegen den Willen der Mutter, durch eine gerichtliche Einzelfallprüfung gefordert.
Wie bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zuvor, bestätigte nun auch das Bundesverfassungsgericht unsere Beschlusslage, indem es die bisher gültige Regelung im deutschen Familienrecht für verfassungswidrig erklärt. Dass es bisher keine Möglichkeit für nicht mit der Mutter verheiratete Väter gab, gegen den Willen der Mutter die Mitsorge an dem gemeinsamen Kind zu erhalten, auch dann nicht, wenn es dem Kindeswohl nicht entgegenstand, verstößt gegen das grundgesetzlich geschützte Elternrecht.
Die Bundesregierung ist nun aufgefordert, die Gesetzeslage dementsprechend anzupassen.
Die BAG Frauenpolitik von Bündnis 90/Die Grünen begrüßt die Entscheidung, die Rechte nicht mit der Mutter verheirateter Väter zu stärken, wenn diese verbindlich ihrer Verantwortung nachkommen wollen. Zugleich halten wir es aber für unabdingbar, jeden Einzelfall im Blick behalten, um in jedem einzelnen Fall dem Kindeswohl tatsächlich entsprechen zu können.
Nicht miteinander verheiratete Eltern erhalten derzeit ein gemeinsames Sorgerecht für das Kind, wenn sie sich im gegenseitigen Einverständnis darauf einigen. Die nun zu findende Regelung, muss also als Antwort auf Konfliktfälle konzipiert werden, in denen die Eltern sich aus unterschiedlichsten Gründen nicht auf ein gemeinsames Sorgerecht einigen können. Für uns ist es dabei zentral, dass die Bedenken der Mutter, die gegebenenfalls einer gemeinsamen Sorge entgegen stehen, ernst genommen werden.
Das Sorgerecht beinhaltet auch die Sorgepflicht, die unter anderem ihren Ausdruck in der nachweisbaren Bereitschaft zu regelmäßigen Unterhaltszahlungen findet.
Denn: Wir dürfen die Lebensrealität nicht aus den Augen verlieren. Nach wie vor tragen in der Regel die Frauen die Hauptverantwortung und Hauptlast bei der Sorge und Erziehung. 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen, 40 Prozent von ihnen gelten nach einer aktuellen Meldung des Statistischen Bundesamtes als armutsgefährdet. Ursachen sind u.a. mangelnde Kinderbetreuungsangebote, fehlende Erwerbsmöglichkeiten, geringe Löhne, unzureichende Unterhaltszahlungen sowie Unterstützung der Väter. Die besonders schwierige Situation dieser Frauen wollen wir berücksichtigen. Deshalb streben wir eine Regelung an, die keine Familienform benachteiligt, sondern die Lebensrealität mit Kindern, von der Alleinerziehenden über die klassische Ehe bis hin zu Regenbogen- und Patchworkfamilien und das jeweilige Kindeswohl in den Blick nimmt und anerkennt.
Deshalb stellt auch das BverfG fest, dass es verfassungsmäßig zulässig ist, die alleinige Sorge zuerst der Kindsmutter zuzusprechen, da nicht angenommen werden kann, dass jedes Kind bei der Geburt einen Vater hat, der selbstverständlich bereit ist, die Verantwortung in der Sorge für das Kind zu tragen. Daher fordern wir, für den Konfliktfall – wenn ein nicht mit der Mutter verheirateter Vater das gemeinsame Sorgerecht beantragt, die Mutter dieses jedoch verweigert – die Möglichkeit einer Einzelfallprüfung vor einem Familiengericht.
Um in der Vielfältigkeit der Familienformen das Kindeswohl auch wirklich in den Mittelpunkt stellen zu können, ist für uns eine Einzelfallprüfung durch ein Familiengericht die geeignetste Form. Nur so wird gewährleistet, dass die Interessen des Kindes an erster Stelle stehen und gleichzeitig beide Eltern die Gründe für bzw. gegen eine gemeinsame Sorge darlegen können.
Eine automatische Regelung, die beiden biologischen Eltern von Anfang an das Sorgerecht erteilt, kann dieser Komplexität nicht gerecht werden und wird deshalb von uns nicht befürwortet.
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