Protokoll: BAG Sitzung vom 07. – 08. Juni 2008 in Berlin

– Vorbehaltlich der Beschlussfassung durch die BAG in der Folgesitzung –

Protokollantin: Sylvia Meyer

TOP 1: Begrüßung, Feststellung der Beschlussfähigkeit

Die anwesenden Frauen werden von den BAG-Sprecherinnen begrüßt.

TOP 2: Eigenständige Existenzsicherung von Frauen am Beispiel Pflege

Die Grundsatzdiskussion, die auf der BAG Tagung im Februar geführt wurde, wird anhand zweier Papiere mit der BAG Arbeit, Gesundheit und Soziales fortgeführt und konkretisiert: dem Redeskript von Barbara Steffens von der letzten BAG und einem als Tischvorlage verteilten Thesenpapier der BAG Arbeit, Gesundheit und Soziales.

Das gemeinsame Ziel der beiden BAGen ist es, einen gemeinsamen Antrag auf eine der nächsten BDKen zu stellen.

Zunächst wird das Papier der BAG Arbeit, Gesundheit und Soziales, das als Tischvorlage ausliegt, von Willi Kulke, Sprecher der BAG, vorgestellt und diskutiert.

Danach wird das Papier von Barbara Steffens, MdL NRW, frauen- und gesundheitspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion, diskutiert.

Der Übersicht halber sind im Protokoll alle Diskussionspunkte der Papiere den Themen zugeordnet und nicht nach AutorIn sortiert.

Papier BAG Arbeit, Gesundheit und Soziales und allgemeine Debatte:

In dem Papier fehlt den Delegierten insbesondere der Geschlechterbezug. Er muss als lila Faden eingearbeitet werden: 86 % der Pflegenden sind Frauen, die Gepflegten zu 70 %, geschlechtsspezifische Folgerungen müssen gezogen werden. Eine Unterscheidung zwischen Pflegenden und Gepflegten wird ebenfalls für notwendig gehalten. In einem gemeinsamen Antrag sollen die beiden Themenfelder eingearbeitet werden.

Präambel:

Ein menschenwürdiges eigenständiges Leben soll so lange wie möglich aufrechterhalten werden. (Beispielhaft hierfür ist das Skandinavische Modell (Gabi überprüft in nächster Zeit die konkreten Fakten). Hilfe wird hier aus einer Hand gewährt, die Angehörigen müssen sich um nichts kümmern, die gesamte Organisation wird von einer/einem Profi nach Rücksprache mit den Angehörigen übernommen. Der Aufenthalt in einem Pflegeheim ist dort eher vorübergehender Natur, die Menschen sollen vorrangig wieder fit für zu Hause gemacht werden.

Auch Pflegeheime bei uns können und sollten so gestaltet werden, dass ein menschenwürdiges, selbständiges Leben möglich ist.

Unser Anspruch an Politik: Als Ideal müssen Rahmenbedingungen und Formen gefunden werden, die diese Ansprüche jederzeit und flexibel ambulant abrufbar ermöglichen.

Ein Ziel ist es, den Menschen möglichst lange ein selbständiges Wohnen in der gewohnten Umgebung zu ermöglichen und so lange wie möglich auf den Umzug in ein Pflegeheim verzichten zu können.

Rahmenbedingungen, Allgemeines:
  • Infrastruktur und Wohnen sowie wohnortnahe flexible Hilfen müssen vorgehalten werden. Es wird keine 100prozentige „Vollkasko“-Pflege geben, Kompromisse sind notwendig. Auf jeden Fall muss die Grundversorgung vor Ort gewährleistet werden.

  • Unabhängige Beratung muss unbedingt gewährleistet werden! Die PflegeberaterInnen werden nicht unabhängig sein, denn sie werden von den Pflegekassen finanziert. Diese Unabhängigkeit jedoch ist die Voraussetzung für Vertrauen zwischen Betroffenen und Beratern, das nur bei unabhängiger Beratung wachsen kann.

  • Eine unabhängige Hilfeeinrichtung, die durch die durch die mittlerweile sehr große Anzahl von AnbieterInnen an Pflegedienstleistungen führt, wäre eine sehr große Hilfe für die Entscheidung, welches Angebot wahrgenommen werden soll.

  • Anspruch an Politik: Als Ideal müssen Rahmenbedingungen und Formen gefunden werden, die diese Ansprüche jederzeit und flexibel ambulant abrufbar ermöglichen.

  • Ein Ziel ist es, den Menschen möglichst lange ein selbständiges Wohnen in der gewohnten Umgebung zu ermöglichen und so lange wie möglich auf den Umzug in ein Pflegeheim verzichten zu können.

  • Das Thema Demenz muss stärker in den Mittelpunkt der politischen Diskussion gerückt werden. Es gibt verschiedene Krankheitsbilder, hier muss klarer differenziert werden. Es gibt leichtere Pflege auch mit Dementen, aber auch die stärker krankheitsbezogene Pflege.

  • Modellprojekt Präventive Hausbesuche: Projekt aus Bremen. Professionelle Kräfte gehen in die Haushalte und eruieren den Bedarf und erläutern die Hilfemöglichkeiten im Stadtteil. Es kann an gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften gekoppelt werden oder an die Kommunen.

Professionell Pflegende:
  • Ausbildung und Beruf der AltenpflegerIn werden nicht ausreichend gesellschaftlich anerkannt, die psychische Belastung wird nicht als Tätigkeitsfeld wahrgenommen und bezahlt, die körperliche Belastung ebenfalls nicht. AltenpflegerInnen werden in Relation zu der ausgeübten Arbeit viel zu gering entlohnt.

  • Die BAG hält die Einführung eines Mindestlohns für notwendig.

  • Die Ausbildung zur AltenpflegerIn soll modular verlaufen mit einem Basis-Modul als Grundlage und darauf aufbauend Spezialisierungen, damit perspektivisch auch die Heimleitung übernommen werden kann oder z.B. ein Wechsel an eine Reha-Klinik möglich wird, damit der Beruf keine Sackgasse ist bzw. bleibt.

  • Es darf keine weitere Absenkung der Fachpersonalquote akzeptiert werden (Bremen: Im stationären Bereich darf die Quote des Fachpersonals 50 Prozent (ohne GärtnerInnen, also ausschließlich Pflegepersonal) nicht unterlaufen.

  • In der Pflege muss unterschieden werden zwischen den qualifizierten Arbeitskräften und an- oder ungelernt ausgeübten Tätigkeiten. Die Pflege selbst darf nicht durch unterqualifizierte Kräfte ausgeübt werden.

  • Bei der Ausbildung von Hilfskräften wie AltenpflegehelferInnen verwenden die AusbilderInnen völlig unterschiedliche Standards, hier muss eine bundesweite Vereinheitlichung angestrebt werden.

  • Mehr Männer in die Pflege: Die BAG diskutiert die Forderung, mehr Männer für die Altenpflegearbeit zu gewinnen. Dann sollen aber auch mehr Männer in der ehrenamtlichen Pflege engagieren.

Ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse:
  • Die BAG stimmt mit der Analyse von Barbara vollständig überein, das Thema Ausländerinnen / Schwarzarbeit kann inhaltlich komplett übernommen werden („Einliegerwohnung mit Osteuropäerin“ inklusive Lösungsansätzen). Das vor der Erkenntnis, dass es für dieses große gesellschaftliche Problem keine einfachen, linearen Lösungen gibt, auf mehreren Ebenen agiert werden muss mit dem Ziel, die Frauen aus der Schwarzarbeit herauszuholen und die Arbeitsverhältnisse zu legalisieren.

  • Als weiteres Problem sollten die 400 Euro-Jobs in Altenpflegeheimen thematisiert werden.

Pflegezeit, Pflegende Familienangehörige
  • Ehrenamtlich Pflegende sind nach relativ kurzer Zeit psychisch und auch körperlich überfordert, da sie für die/den zu Pflegenden rund um die Uhr zur Verfügung stehen.

  • Die gesellschaftlich vorhandene Geringschätzigkeit gegenüber ehrenamtlich Pflegenden sollte in die Analyse aufgenommen werden.

  • Nicht klar formuliert in dem BAG Gesundheitspapier sind die Themen Betreuung durch Familienangehörige und haushaltsnahe Dienstleistungen. Menschen sind immer länger mobil, haushaltsnahe Dienstleistungen (HDL) wie Putzen der Wohnung, Einkäufe erledigen etc. müssen zeitlich flexibel organisiert und teilweise von den Älteren selbst finanziert werden. Die Passagen aus Barbaras Papier zu HDL werden inhaltlich übernommen.

  • Die Pflegezeit von 10 Tagen bis später geplant 6 Monaten ist nicht verlängerbar; eine Beurlaubung vom Job ohne Bezüge ist im Pflegeweiterentwicklungsgesetz festgeschrieben.

  • Die Pflegesätze sind zu niedrig. Es gibt eine Finanzierungslücke, die Gesellschaft ist jedoch nicht bereit, mehr zu zahlen und drängt vor allem Frauen in die ehrenamtliche Pflege von Angehörigen, ohne für ausreichende Unterstützung zu sorgen. Die BAG diskutiert Aspekte der Pflegenden mit oder ohne Inanspruchnahme des Pflegedienstes. Wenn er nicht extern in Anspruch genommen wird, erhalten die Pflegenden einen höheren Satz. Mit dieser höheren Summe wächst auch die Gefahr, dass Frauen unter Druck gesetzt werden, die Pflege der/des Angehörigen komplett zu übernehmen, da auf das Geld nicht verzichtet werden soll.

  • Die Hausarbeit wird auch noch „nebenbei“ mit erledigt.

  • Sie brauchen Unterstützung in Bezug auf Kurse im Umgang mit den zu Pflegenden, aber auch mehr als die ihnen bis dato zustehenden zwei Wochen Urlaub jährlich.

  • Notwendig ist eine Absicherung des Erwerbs von Anwartschaften für die Rente und der eigenständige Anspruch auf Krankenversicherung. Andererseits könnte sich auch dadurch der moralische Druck auf die Frauen, die Pflege ehrenamtlich zu übernehmen, noch erhöhen. Um zu verhindern, dass Frauen gezwungen sind, die Pflege zu übernehmen, müssen Kriterien entwickelt und darauf aufbauend Maßnahmen ergriffen werden.

  • Es muss ausgeschlossen werden, dass die ehrenamtlich Pflegenden dazu benutzt werden, die professionell Arbeitenden weiter unter Druck zu setzen.

  • Ziel ist es nicht, noch mehr Pflege in den privaten Bereich zu verlagern, sondern die weiter gehende Professionalisierung der Pflege. Dann könnten sich die Ehrenamtlichen entspannter um ihre Angehörigen kümmern, hätten mehr Zeit, mit ihnen spazieren zu gehen und ihnen vorzulesen und Gespräche zu führen statt sich mit Windeln wechseln beschäftigen zu müssen. Diese zwischenmenschlichen Tätigkeiten können und sollen nicht professionalisiert werden.

  • Die steuerliche Absetzbarkeit von Ausgaben für die Pflege reicht nicht aus, da sie nur von SteuerzahlerInnen genutzt werden kann.

Gepflegte
  • Ein Ziel ist es, den Menschen möglichst lange ein selbständiges Wohnen in der gewohnten Umgebung zu ermöglichen und so lange wie möglich auf den Umzug in ein Pflegeheim verzichten zu können.

  • Für die Gepflegten müssen sozialversicherungspflichtige, wohnortnahe Konzepte gefunden werden.

  • Fachärzte: die ausreichende Versorgung von Fachärzten in Pflegeheimen muss gewährleistet werden. Insbesondere die zahnärztliche Versorgung ist sehr schlecht, auch die mit AugenärztInnen.

Alternative Wohnformen fördern
  • Mehrgenerationenwohnen finden die Delegierten theoretisch gut, in der Praxis funktioniert das Modell oft nicht. Alte wollen nicht unbedingt mit Kindern und v.a. Pubertierenden zusammen wohnen.

  • Alten-WGs, die sich auch Pflegedienste u.a. Fachkräfte gemeinsam leisten bzw. organisieren, werden für sinnvoll gehalten.

Elisabeth Schrödter, Barbara Steffens und Kattrin Bauer mit der Womanpower aus der Bundestagsfraktion werden gebeten, das Papier gegenzulesen.

TOP 3: Regularien

Die Beschlussfähigkeit der BAG wird festgestellt.

Weiteres Vorgehen zum Thema Pflege:

In zwei Wochen tagt die BAG Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die Diskussionsergebnisse der BAG sollten bis dahin vorlegen, damit dort die Diskussion und Änderungsvorschläge eingebracht werden können. Ziel ist die Antragstellung auf der November-BDK, weil dort auch das Thema Rente auf der Tagesordnung steht.

Dieses wird danach wieder im Umlaufverfahren in der BAG Frauenpolitik abgestimmt und als Antrag für die BDK gestellt.

TOP 4: Beschluss des Protokolls der BAG-Tagung vom Februar 2008

Das Protokoll der BAG-Tagung vom Februar 2008 wird beschlossen.

TOP 5: Berichte

Die aktuellen Vorbereitungen der Bundesfrauenkonferenz werden kurz zusammengefasst.

Der AK Gendergrün hat sich zur abschließenden Diskussion getroffen und arbeitet aktuell an einem Abschlusspapier. Die Auswertung wird dem Bundesvorstand und der BAG Frauenpolitik zeitnah geschickt.

Gabi Schuchalter-Eicke hat die frauenpolitischen Strukturen der Landesverbände in einer Datei aufgearbeitet und legt das Papier als Tischvorlage aus. Hintergrund ist ein Schreiben der BAG-Sprecherinnen an die Landesverbände mit der Bitte um Erläuterung der Frauenstrukturen, der Rücklauf war jedoch ziemlich gering, so dass Gabi die Aufgabe übernommen hat, eine Übersicht zu erarbeiten.

Die Delegierten berichten vom Länderrat und aus den Landesverbänden NRW, Brandenburg, Hessen, Berlin, Baden Württemberg, Bayern, Bremen, Bremerhaven, Rheinland-Pfalz und der Grünen Jugend, dem Bundesvorstand, der Mitgliederversammlung der Heinrich-Böll-Stiftung, Bund-Ländertreffen Frauenpolitik, dem Bundesfrauenrat und dem Europaparlament.

TOP 6: Antrag der Bundestagsfraktion zum Sorgerecht bei Unverheirateten

Nina Katzemich, wissenschaftliche Mitarbeiterin von Irmingard Schewe-Gerigk, berichtet über den politischen Entwicklungsgang der Kindschaftsrechtsreform und führt in den aktuellen Sachstand der Bundestagsfraktion zum Sorgerecht ein. Der Antrag liegt aus.

Kern des Antrages ist, dass nichtverheiratete Väter Chancen auf ein gemeinsames Sorgerecht erhalten. Nach bisherigem Recht müssen beide Eltern erklären, dass sie die gemeinsame Sorge übernehmen. Wenn die Mutter sich weigert, hat der Vater keine Möglichkeit, z.B. dagegen zu klagen.

Der bündnisgrüne Antrag sieht das unter klar definierten Bedingungen vor. Das gemeinsame Sorgerecht soll unter anderem an die Zahlung zum Unterhalt für das Kind geknüpft werden und an die Bereitschaft zur Fürsorge und das Kind muss mindestens ein Jahr alt sein. Vorher muss eine Beratung durch die Jugendhilfe in Anspruch genommen worden sein.

Nach intensiver Diskussion um konkrete Umsetzungsprobleme, die auftauchen könnten, bedankt sich die BAG für die umfangreiche Vorarbeit und die Initiative der Fraktion.

TOP 7: Spätabtreibungen, Sachstandsbericht & Diskussion

Nina berichtet über den Sachstand der Diskussion zu Spätabtreibungen.

Es gibt einen Entwurf des CSU-MdB Singhammer, der einige Änderungen wie Beratungspflicht vor dem Schwangerschaftsabbruch verbindlich vorsieht.

Die Fraktion setzt mit Zustimmung der BAG auf Aufklärung und wartet zunächst, bis ein Antrag vorgelegt wird.

Die BAG ist der Auffassung, dass eine Beratungspflicht der Ärzte vor der Pränataldiagnostik akzeptabel ist, aber nicht bei der Entscheidung einer Spätabtreibung. Der Arzt hat die Pflicht, die Frau vor dem Eingriff umfassend zu beraten. Oder er verweist an Beratungsstellen, die neutral informieren.

Anschließend wird diskutiert, dass Pränataldiagnostik bei vielen Frauen angewandt wird, diese aber nicht von den ÄrztInnen darauf hingewiesen werden, dass diese Untersuchung nur freiwillig durchgeführt wird und nicht im Pflichtkanon der Schwangerschaftsvorsorge enthalten ist. Auch mögliche Folgen dieser Untersuchung werden oft nicht erläutert.

TOP 8: Verschiedenes

Lebensschützer überziehen GynäkologInnen mit Klagen, weil diese auf ihren Homepages u.a. darauf hinweisen, dass sie auch Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Dies wird vor Gericht bereits als Werbung definiert, so dass die GynäkologInnen vor Gericht bereits mehrfach unterlagen. Die Bundestagsfraktion wird gebeten nach Wegen zu suchen, um diese Lücke zu schließen und die Trennung zwischen sachlicher Information und Werbung zum Schutz der GynäkologInnen gerichtsfest zu ziehen. Diese juristische Lücke muss zum Schutz der GynäkologInnen geschlossen werden.

Irmingard Schwewe-Gerigk wird nicht mehr für den Bundestag kandidieren. Die BAG bedauert das sehr, dankt ihr für Ihr geleistetes Engagement und wünscht ihr für die Zukunft alles Gute.

Die nächste BAG-Tagung wird auf das Wochenende vom 25. – 26.10.2008 festgesetzt. Wenn dieser Termin wider Erwarten nicht genommen werden kann, wird per Internet-Abstimmung eine Alternative gesucht.

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